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LSD Forschung
Aufgrund seiner Erfahrungen mit geführter Imagination entwickelte
Leuner 1955 die Idee, kathartische Prozesse durch die Verwendung geringer
Dosen von LSD zu intensivieren, welches damals dafür bekannt war,
tagtraumartige Bewußtseinslagen und eine Stimulation des Gefühlslebens
hervorzurufen. Über die nächsten fünf Jahre führte
er mehr als 1300 Einzelsitzungen mit neurotischen Patienten und normalen
Freiwilligen unter Verwendung verschiedener Halluzinogene (LSD, Meskalin,
Psilocybin, Atropindirivaten u.a.) durch. Durch die präzise Beobachtung
dieser Experimente erlangte er die empirischen Grundlagen für das
grundlegende Modell in seiner Monographie "Die experimentelle Psychose"
(1962). Leuner nutzte damals den fortgeschrittensten psychopathologischen
Ansatz, um eine systematische Theorie über die Reaktion des Menschen
auf LSD zu entwickeln. Dies geschah jedoch nicht, weil ihm diese Art von
Konzeptualisierung am angemessensten schien, sondern vielmehr, weil es
der einzige Weg zu sein schien, die ungewöhnlichen Erfahrungen seiner
Versuchspersonen der wissenschaftlichen Welt zur Kenntnis zu bringen.
Sein streng wissenschaftliches Modell sollte außerdem demonstrieren,
dass diese Erfahrungen eigene Strukturen und Gesetzmäßigkeiten
haben, die mit akzeptierten psychopathologischen Theorien konzeptualisiert
und durch ausgebildete Ärzte therapeutisch genutzt werden können.
Ein zentrales Konzept in Leuners umfassender Monographie ist das "psychotoxische
Basissyndrom", welches die grundlegenden psychopathologischen Merkmale
der LSDReaktion charakterisiert:
1. Funktionale Regression des psychischen
Funktionierens auf frühere autogenetische Stadien.
2. Veränderungen des Bewußtseins vom normalen Wachbewußtsein
zum "protopathischen Bewußtsein" (Conrad), welches eine
stärkere Beteiligung von Emotionen bei der Determination von Wahrnehmungen
und Bewußtseinsinhalten, insbesondere autosymbolischen visuellen
Imaginationen, impliziert. (Leuners Studien machten die Ähnlichkeiten
von Inhalten und Symbolisierungsprozessen in hypnagogen Zuständen
und der kontinuierlich szenischen Verlaufsform bei niedrig dosierten Halluzinogensitzungen
wissenschaftlich evident).
3. Verstärkung der inneren Reizproduktion, insbesondere sensorische
Alterationen, Synästhesien und eine unspezifische affektive Stimulation.
Eine der hauptsächlichen Entdeckungen,
die sich aus Leuners Studien ergab, war die empirische Aufweisung von
drei verschiedenen Formen, in denen die Reaktion auf LSD verlaufen kann:
1. Die kontinuierlichszenische Verlaufsform,
2. die stagnierendfragmentarische Verlaufsform und
3. die extrem psychotische Verlaufsform.
Es ist hier nicht möglich, auf diese
Verlaufsformen detailliert einzugehen, aber die Bedeutung dieser empirischen
Entdeckung liegt darin, dass die Art der Verlaufsform hauptsächlich
eine Funktion der Dosis der Substanz ist; vorausgesetzt, das Setting ist
sicher. Das heißt, der grundsätzliche Verlauf der Erfahrung
kann durch eine individuell angepaßte Dosierung genau kontrolliert
werden. Dies ist besonders wichtig in der "psycholytischen Therapie",
wo es notwendig ist, dem Patienten einen "reflektierenden IchRest"
(Leuner) zu erhalten, um ihn zu befähigen, auf die Erfahrung reflektieren
und sie kontrollieren zu können. Aus der Sicht der psycholytischen
Therapeuten ist nur die kontinuierlichszenische Verlaufsform brauchbar
für eine therapeutische Arbeit und erlaubt den Patienten, ihr Unbewußtes
frei zu erkunden; ohne die Gefahr einer (retraumatisierenden) Überstimulation.
Genauso unabdingbar für die Heilung ist natürlich eine vertrauensvolle
Beziehung zwischen Arzt und Patienten sowie eine warme Atmosphäre
der Behandlungsräume.
Eine weitere Absicht von Leuners Werk war die Beweisführung bezüglich
der nahen Beziehungen zwischen den Inhalten der halluzinogeninduzierten
Erfahrungen und der Biographie seiner Versuchspersonen. Für diesen
Zweck war die Durchführung von Sitzungsserien mit neurotischen Patienten
besonders hilfreich und führte zu seiner ersten Publikation über
"Psychotherapie in Modellpsychosen" im Jahre 1959. Die Muster
des Auftauchens von Erlebnissen aus der persönlichen Geschichte des
Patienten schien erstaunlich konsistent. Leuners konzeptualisierte diese
regelhaften Zusammenhänge der aufkommenden unbewußten Erinnerungen
bzw. Konflikte 1962 als gesteuert durch sogenannte "transphänomenale
dynamische Steuerungssysteme" (tdySt). Diese innerpsychischen Systeme
konstellieren Komplexe von Erinnerungsmaterial und Emotionen und strukturieren
das Auftauchen unbewußten Materials in psycholytischen Sitzungsfolgen.
Die Grundidee ist den "psychischen Komplexen" Eugen Bleulers
und Sigmund Freuds verwandt. Später dachte auch der berühmte
tschechoslowakische LSDForscher Stanislav Grof unabhängig von Leuner
über "Systeme kondensierter Erfahrungen (COEXSysteme)"
nach, welche Ähnliches zu erklären suchten. Diese offensichtliche
Herkunft zusammenhängender Inhalte aus der Biographie der Person
unterscheidet die psycholytischen Erlebnissen klar von anderen Typen sogenannter
"exogener Psychosen", d.h. Psychosen, welche durch biochemische
Veränderung organismischer Funktionen (Vergiftungen, Krankheiten
innerer Organe) zustandekommen.
Behandlung mit LSD: Psycholytische
Therapie
Im Jahre 1960 verlegte Leuner seinen Arbeitsort von der Marburger an die
Göttinger Universität und etablierte dort eine Psychotherapieabteilung.
Beeindruckt durch die therapeutischen Möglichkeiten der halluzinogenunterstützten
Psychotherapie initiierte Leuner 1960 das "Erste europäische
Symposion für die Psychotherapie unter LSD 25" an der Göttinger
Universität. Erfahrene Kollegen kamen aus Dänemark, den Niederlanden,
England, Norwegen, der Tschechoslowakei, Italien und Deutschland. Bei
dieser Gelegenheit schlug der führende psycholytische Therapeut aus
England, Ronald Sandison, den Namen "Psycholyse" ("Seelenlösung")
oder "psycholytische Therapie" für die neue Methode vor,
welcher von den Teilnehmern einhellig akzeptiert wurde. Diese Bezeichnung
wird heute noch in Europa gebraucht. Das nächste europäische
Symposion, betitelt "Halluzinogene Drogen und ihr psychotherapeutischer
Gebrauch" wurde von der britischen "Königlichen medizinischpsychologischen
Assoziation" in London 1961 initiiert. Nach diesem Treffen versuchte
Leuner die interessierten Psychotherapeuten in der "Europäischen
medizinischen Gesellschaft für psycholytische Therapie (EPT)"
zusammenzuschließen, welche er im Jahre 1964 begründete. Zu
dieser Zeit wurde die psycholytische Therapie in 18 europäischen
Behandlungszentren und von vielen ambulanten Psychotherapeuten ausgeübt.
Sie erschien damals als eine wissenschaftlich etablierte, effektive und
sichere Behandlung mit einer vielversprechenden Zukunft. Insbesondere
bei stark gestörten neurotischen Patienten, welche die psycholytischen
Therapeuten vorwiegend behandelten, schien die Methode eine gute Effektivität
zu besitzen.
Als der nichtmedizinische Gebrauch von Psychedelika im Jahre 1965 einen
ersten Höhepunkt erreichte, wurde Leuner vom amerikanischen "National
Institute of Mental Health (NIMH)" eingeladen, um die wenigen verbliebenen
amerikanischen Forschungsprojekte über Halluzinogene zu begutachten.
Unglücklicherweise zogen sich am Ende der 60er Jahre in einem aufkommenden
Klima von Drogenhysterie und regierungsamtlicher Unterdrückung legitimer
Forschung die meisten Forscher "freiwillig" aus ihrem Interessenfeld
zurück, um nicht in die NegativSchlagzeilen über den Drogenmißbrauch
zu geraten. Vor diesem Hintergrund wurde die EPT nach ihrem fünften
Symposium 1971 aufgelöst.
Leuner behielt jedoch seine Lizenz zur psychotherapeutischen und wissenschaftlichen
Anwendung von Halluzinogenen bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1986.
Seit er 1965 Professor an der Göttinger Universität wurde, beinhaltete
seine tägliche Routine die psycholytische Behandlung von Patienten
seiner psychotherapeutischen Abteilung. Er konzentrierte sich auf die
Behandlung sogenannter "therapieresistenter" chronisch neurotisch
erkrankter Patienten und entwickelte die sogenannte "stationäre
IntervallBehandlung". Dabei befindet sich der Patient in ambulanter
Psychotherapie und wird nur kurzzeitig für die Durchführung
der psycholytischen Sitzungen hospitalisiert. Auf diese Weise können
die Patienten langfristig ambulant behandelt und doch während und
nach den psycholytischen Sitzungen hinreichend beobachtet werden. Damit
können die Kosten für derartige Behandlungen deutlich verringert
werden. Ein ähnliches Modell wurde in vielen britischen "DayHospitals"
während der 60er Jahre praktiziert und dürfte nach den Erfahrungen
in der Schweiz während der 90er Jahre die zukünftigen Anwendungen
der Psycholyse prägen. |
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Therapie mit Imaginationen und
Biofeedback
Neben der Forschung mit Halluzinogenen insbesondere seitdem diese Forschung
restriktiv begrenzt wurde war Leuner engagiert in der Propagierung und
Etablierung seines Psychotherapiesystems "Katathymes Bilderleben".
Er begründete eine zentrale Organisation, entwickelte standardisierte
Ausbildungsrichtlinien, hielt eine Reihe von Workshops und publizierte
stetig über das Thema. Heutzutage ist dieses Therapiesystem in der
deutschen Psychotherapieszene fest etabliert. Seine Bücher über
die Methode wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Seit Mitte der 70er Jahre investierte er außerdem viel Energie in
die Entwicklung des elektronisch unterstützten Respiratorischen Feedbacks
(RFB). Diese Methode und die dazugehörigen Apparate wurden entwickelt,
um psychosomatischen Patienten die Erreichung tiefer Entspannungszustände
(wie sie z.B. beim Autogenen Training erreicht werden) in einer minimalen
Zeitspanne zu ermöglichen. Diese "nichtpharmakologische Medizin"
erwies ihre Effektivität bei der Behandlung von Bluthochdruck, neurotischen
Ängsten, Schlafstörungen, Schmerzen und Spannungszuständen.
In den letzten zehn Jahren führte er noch diverse wissenschaftliche
Studien über die Methode durch und schrieb ein Buch darüber.
Die Leunomed benannten respiratorischen FeedbackApparate werden heutzutage
von etwa 4.000 Ärzten in Europa und den Vereinigten Staaten angewandt.
Der späte Leuner
Im Jahre 1985 gründete Leuner, zusammen mit anderen wichtigen Forschern
in diesem Feld, das "Europäische Collegium für Bewußtseinsstudien
(ECBS)" und fungierte als sein Präsident. Diese internationale
Organisation bringt Forscher aus verschiedensten Ländern und Tätigkeitsfeldern
zusammen, um Erfahrungen und Informationen auszutauschen, Kongresse zu
organisieren und die Öffentlichkeit zu informieren. Seit seiner Gründung
hat das ECBS sieben Symposien über spezifische Themen und drei Kongresse
unter dem Titel "Welten des Bewußtseins" veranstaltet.
Von 1991 bis 1996 gaben Leuner und der Sekretär des ECBS, Michael
Schlichting, das Jahrbuch des ECBS heraus.
Gut über 70 Jahre alt, praktizierte Leuner immer noch seine psycholytische
Arbeit, als ich die Gelegenheit hatte, einige Zeit mit ihm zu arbeiten.
Es war eine bereichernde Erfahrung, weil er sehr gut wußte, sowohl
eine warme und angenehme Atmosphäre in den Behandlungsräumen
als auch in seinem Handling der Patienten sicherzustellen. Diese Patienten
machten ein breites Spektrum von Charakteren, Berufen und Altersgruppen
aus. Die meisten von ihnen litten unter schweren neurotischen Leidenszuständen
und konnten kaum mit konventionellen Methoden behandelt werden.
Seine persönliche Erscheinung war die eines "weisen alten Mannes".
Dank seines unbeirrbaren Sinnes für Humor und seiner Fähigkeit,
individuelle Probleme mit Empathie und Verständnis anzugehen, half
er vielen seiner Patienten aus ihrer "negativen Vaterübertragung".
Er hatte eine besondere Art entspannter Ernsthaftigkeit, welche den Patienten
half, sich durch ihre schwierigen Erfahrungen und Probleme während
und nach den psycholytischen Sitzungen hindurchzuarbeiten. Er interagierte
mit seinen Patienten in einer jugendlichen und humorvollen Art und organisierte
die therapeutische Arbeit mit spielerischer Autorität und Unkonventionalität.
Leuner erlitt im Februar 1997 einen Herzinfarkt und nach einer kurzen
Phase der Besserung entwickelte er andere Gesundheitsprobleme und verstarb
nach einer kurzen Hospitalisierung im Juni 1997.
In seinen späten Jahren war der "Großvater der psycholytischen
Therapie" immer noch traurig über das Schicksal dieser machtvollen
Therapiemethode und hoffte auf eine ernsthaftere öffentliche Bewertung
in der Zukunft. Die Zukunft wird zeigen, ob seine Hoffnungen zum Teil
verkörpert im "Europäischen Collegium für Bewußtseinsstudien
erfüllt werden. |
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