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Wer von Ekstasen hört oder liest, denkt zunächst
unwillkürlich an Heilige oder Märty-rer oder aber an exotische
Tempelfeste und religiöse Kultgebräuche primitiver Völ-ker.
Dabei sind aber Ekstasen über das Gebiet des Religiösen hinaus
etwas nicht so Ungewöhnliches, wie man anzunehmen geneigt ist.
Im Folgenden soll der Versuch gemacht werden, Ekstase wissenschaftlich
zu definieren, anschauliche Beispiele zu geben als auch zwei ihrer Formen
zu charakterisieren.
Ekstase kann definiert werden als ein hoher Grad von Verzückung unter
völliger Konzentration der inneren Anteilnahme auf bestimmte tatsächliche
oder eingebildete Vorgänge, wobei jede geistige Betätigung in
anderer Richtung, die Wahrnehmung sonstiger Sinneseindrücke mehr
oder weniger ausgeschaltet sind. Lassen wir uns aber von einer berühmten
Ekstatikerin belehren: Die heilige Therese aus dem 16. Jahrhundert schreibt
in ihrer Autobiographie: „Die Ekstase ist ein geistiger Schlaf der
Seelenkräfte. Die Seele wird schwebend erhalten, dass sie ganz außer
sich zu sein scheint, der Wille ist versunken, das Gedächtnis geschwunden,
die Denkkraft außer Tätigkeit, aber nicht verloren, wie überwältigt
von den großen Dingen, die sie wahrnimmt.“ Die Ek-stasis,
das „Außersichsein“ bezieht sich auf ihre religiöse
Verzückung, in der sie mit Gott und den Heiligen spricht, bis sie
letztendlich fähig wird, die ganze Größe Gottes in Visionen
ihrer Ekstase zu schauen. Doch auch qualvolle Angsthalluzinationen drängen
sich ihr in diesen Zuständen auf. Der Satan erscheint, droht ihr
und sucht sie vom Pfad der Tugend und Gottgefälligkeit abzubringen.
Bei der heiligen Therese und anderen religiösen Ekstatikern des Mittelalters
war diese ins Extrem gesteigerte Inbrunst des religiösen Gefühls,
das Begehren, sich vor Gott durch besondere Kasteiungen hervorzutun, eine
sich aus der geistig-religiösen Verfassung jener Zeit heraus entwickelnde
Erscheinung. Die religiösen Ekstasen „Begnadeter“ waren
jedoch auch von körperlichen Sensationen erfüllt. So beschreibt
eine ekstatische Nonne dieser Zeit ihren Zustand wie folgt: „In
der Verzückung scheint die Seele den Körper zu verlassen, deswegen
nimmt die natürliche Wärme ab, die Glieder werden nach und nach
kalt, obgleich man zu gleicher Zeit großes Wohlbehagen spürt.
Ich fühle mich fortgeführt, ohne zu wissen wohin. Ehe man es
denkt, kommt ein plötzlicher Stoß, und so lebhaft ist dabei
oft der Schmerz, dass ich zu widerstehen versuchte. Aber alles war umsonst,
meine Seele wurde verzückt und mein Kopf folgte ihrer Bewegung, ohne
dass ich ihn zurückhalten konnte. Zuweilen wurde gar mein Körper
erhoben, so dass er hoch über der Erde schwebte ...“. Selbst
aus dieser naiv erscheinenden mittelalterlichen Darstellung erkennt man
die charak-teristische, durch Halluzinationen hervorgerufene, Unempfänglichkeit
für normale Lage– und Gleichgewichtsempfindungen. Auch unangenehme
Begleiterscheinungen ekstatischer Zustände wurden von Maria degli
Angeli schon um 1700 genau beschrieben: Erregungszustände mit starkem
Herzklopfen, dem Gefühl von Hitze in der Brust, Trockenheit in Mund
und Kehle und auch starke schwere hypochondrische Empfindungen.
Nicht nur die christliche Kirche weist eine große Zahl Ekstatiker
auf, auch fast jede andere Religion, fast jede Glaubensgemeinschaft kann
von Ekstatikern berichten. In jüdischen Schriften, Legenden und Überlieferungen
sind zum Beispiel auf Schritt und Tritt die Schilderung ekstatischer Zustände,
ekstatischer Visionen anzutreffen. Aus den Legenden von Baalschem, der
offenbar selbst ein Ekstatiker war, sei nur an das visionäre Erlebnis
des Rabbi Simeon erinnert, dem blitzgleich ein weißer zündender
Strahl durch den Körper fuhr, was die Versunkenheit seiner Erinnerung
aufhellte und ihm die gewaltigen Geschichten von Baalschem wieder einfallen
ließ, die er anschließend predigen und verbreiten sollte.
Die religiösen Ekstasen haben zur Zeit des Mittelalters, als Glaubensfragen
die Gemüter fast völlig beherrschten, ihre höchsten Blüten
getrieben und finden sich heute noch bei Völkern, Brüderschaften
und Sekten, deren gesamtes Fühlen und Denken durch die Beschäftigung
mit Fragen der Gottheit und ihrer Verehrung bestimmt ist.
Viele ekstatische Persönlichkeiten jedweder Glaubensbekenntnisse
haben Gefolgschaft und Nachahmung gefunden, haben durch ihr Wirken zeitweilig
sogar das erzeugt, was als Massenekstase bezeichnet werden könnte.
Aus der Vorzeit von den Tempelfesten der Astarte oder Istar, vom Dionyskultus
der alten Griechen mit seinen wilden Bacchanalen ist uns einiges über
derartige Massenekstasen überliefert. Bei Teilen der Naturvölker
reißt die Ekstase des Schamanen oder Priesters das ganze Volk zu
ekstatischen Tänzen hin. An heruntergespannte Bäume gebunden,
kleine Pflöcke durch das Fleisch der Muskeln getrieben, tanzt beim
Sonnentanz der Prärie-Indianer der Auserwählte zu Ehren des
Sonnengottes bis er in höchster Wollust des gottergebenen Taumels
die Holzpflöcke aus den blutenden Gliedern herausgerissen hat, bis
er völlig erschöpft zusammensinkt. Und mit ihm jauchzt und tobt
das ganze Volk in ekstatischer Raserei. In der mohammedanischen Welt wirkten
seit Jahrhun-derten die Orden der tanzenden Derwische. Auch ihre Ekstasen,
angefeuert mit Mu-sik und durch stürmische Tänze zur Entfaltung
getrieben, reißen mit und schaffen immer wieder traditionserhaltende
Gefolgschaft.
Die religiösen Ekstasen sind jedoch bei weitem nicht die einzigen
Ausdrucksformen der Ekstase. Vielfältig sind die Regungen, die den
Einzelnen und die Masse zur Ekstase bringen können. So bringt die
wohl jedem bekannte Ekstase beim Spiel der körperlichen Liebe, die
der Definition des „Außer-sich-sein“ der „heiligen
Therese“ durchaus entspricht, den Willen lähmt, das Gedächtnis
und das Denken schwinden läßt, so bleiben noch eine Vielzahl
anderer Verzückungen, die – neben den eben genannten Charakteristika
des ekstatischen Zustandes - alle gemeinsam haben, dass sie aus den Tiefen
des Unbewußten heraus, aus gefühlsmäßigen Regungen
und triebgleichen emotionalen Empfindungsqualitäten entstehen. Niemals
ist das kritisch abwägende „mittlere Tages-Wachbewußtsein“
(Scharfetter) mit derjenigen Art von Denken, Emfinden und Willenstätigkeit
verbunden, aus der ekstatische Zustände entstehen. Die musikalische,
künstlerische und die ethische Ekstase entsteht vielmehr aus den
Tiefen der Seele heraus und nur wenn sie mit dem geschaffenen Werk wieder
etwas zum Klingen bringt, im Unbewußten der Schauenden, Hörenden,
Genießenden, nur dann kann das aus Ekstase gestaltete Kunstwerk
auch Ekstase wecken.
Auch bei der sportlichen Massenekstase gestaltet sich Höchstleistung
aus einer zunächst bewußten Konzentration auf das erstrebte
Ziel, aus einer Anspannung sämtlicher körperlichen und seelischen
Kräfte unter Ausblendung aller sonstigen Fähigkeiten, dass
zumindest ein der Ekstase ähnlicher Zustand erreicht werden kann.
Diese Einzelekstase kann dann mit ihren Höchstleistungen die Masse
in eine ekstasegleiche Erregung bringen, sei es bei Fußballspielen,
Stierkämpfen oder Bühnen- und Musikereignissen. Das „Außer-sich-geraten“
eines Publikums im Stadion, suggestiv sich durch die Reihen der Tausende
fortsetzend, kann beim Einzelnen und der Gesamtheit den zielgerichteten
Willen, das Gedächtnis und jede geordnete Denkkraft scheinbar für
Minuten, sogar Viertelstunden zum Verschwinden bringen. Würde sich
ein Einzelner sich in der Öffentlichkeit so benehmen, wie er es in
der außer sich geratenden Masse eines Stadions tut, so würde
sein Verhalten erhebliche soziale Konsequenzen nach sich ziehen.
Sollen Ekstasen differenziert beschrieben werden, so sind ihre verschiedenen
Formen auseinanderzuhalten. Im allgemeinen nimmt man als selbstverständlich
den Zustand einer verzückten Erregung als den der Ekstase an. Schon
das Tier kennt Bewegungsekstasen, die als Muskelekstasen bezeichnet werden
könnten. Beim Tier scheinen diese Ekstasen aus spezifischen triebhaften
und instinktiven Regungen hervorzugehen, wie sie, freilich entsprechend
verfeinert und vielseitiger, auch bei den menschlichen Ekstasen angenommen
werden dürfen. Ein zu lange auf engem Raum eingesperrtes Pferd, steigert
die Erregung unter dem Druck seines Bewegungsdranges und tobt in übersteuerter
Bewegungsekstase seine Bewegungskraft aus. Auch ein Hund, der seinen Herrn
länger missen musste, gerät in einen fast ekstatischen Taumel,
wenn er ihn wiedersieht. Trotz Dressur kann sich die Wildheit seiner Begrüßung,
sein tobendes Hin- und Herwerfen manchmal bis zu Kratz- und Bißverletzun-gen
des Begrüßten steigern. Dies zeigt – wie typisch bei
der Ekstase - eine Ausschaltung des Erfahrungsschatzes und der anerzogenen
Fähigkeiten an. Auch das Werben, die Balztänze um das Weibchen
bringen fast jedes Tier einen ekstasegleichen Zustand des „Außer-sich-seins“.
Doch neben den ekstatisch Erregungszuständen sind von religiösen
Ekstatikern auch Zustände völliger Versunkenheit mit Reglosigkeit
des Körpers überliefert. Darüber hinaus sind Zustände
dokumentiert, die ein stunden- und tagelanges Verharren des ekstatisch
Verzückten in unnatürlicher Stellung und Haltung bedingen (z.B.
indische Fakire).
Noch ein anderes Gebiet kommt in den Sinn und hat Bezug zur Ekstase, die
uns vom Alltagsbewußtsein befreit und in Verzückung und Erhabenheit
versetzen kann. Auch Traum und Rausch sind wie ekstatische Erscheinungen,
die aus den Quellen des Unbewußten erwachsen. Opiumrausch und Haschischträume
zaubern Visionen, wecken Halluzinationen von greifbarer Nähe und
Deutlichkeit, lassen unter Verminderung von Willen, Denkvermögen
und besonnener Überlegung den Menschen sich konzentrieren auf den
aufwühlenden, sein ganzes Ich erschütternden Genuß der
rauschmittelinduzierten Träume. Während beim Opium- und Haschischrausch
schlafähnliche Zustände typisch sind, kann die vom Kokain erzeugte
Euphorie sich zu ekstatischen Erregungzuständen aufbauen. So fühlen
sich manche Kokainberauschte in Welten erträumter Herrlichkeiten
versetzt, fühlen sich emporgehoben in Höhen und Weiten ungeahnter
Größe, scheinen auf Wolkensegeln himmlischer Phantasien dahinzutreiben.
Die medikamentöse Ekstase gehört im Rahmen der Be-arbeitung
der Ekstasetechniken – mit einer Ausnahme – zu den archaischen
Formen.
Doch alle diese Ekstasen führen den Körper und Geist fast immer
abwärts und nicht hinauf. Soweit reicht das Spektrum der Ekstasen:
von dumpfen Rauschzuständen bis zu den Ekstasen, die aus archetypischen
Tiefen des menschlichen Geistes erwachsen, Ekstasen des Religiösen,
Ekstasen des Kampfes, Ekstasen der Macht und Ek-stasen des Schaffens.
Jeder Mensch ist wohl fähig zur Ekstase, zur kleinen, zur großen
oder zur ganz großen. Jeder Mensch wird jedoch im Verlauf seines
Daseins nur diejenigen Ekstasen erleben, die seiner inneren Struktur entsprechen.
Die Ekstasen der vielen, der einzelnen Kleinen verrauschen ohne zu wirken,
ohne befruchtend Neues oder Großes zu erzeugen. Doch die Ekstasen
der Großen wirken durch Jahr-zehnte und Jahrhunderte.
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